Rettet den Leuchtturm Roter Sand: Die Petition für ein Weltkulturerbe und den Erhalt vor Ort

Das letzte Gefecht für ein Wahrzeichen der See

Der Leuchtturm Roter Sand, majestätisch in der Außenweser thronend, ist weit mehr als ein historisches Seezeichen. Er ist ein tief verwurzeltes Symbol der deutschen Seefahrtsgeschichte und ein emotionales Wahrzeichen, dessen rot-weiße Platten und charakteristische drei Erker zum Sinnbild des Leuchtturms schlechthin geworden sind. Für Generationen von Auswanderern, die von Bremerhaven aus die Neue Welt suchten, war er der letzte Gruß ihrer Heimat. Für die Seeleute war er das erste willkommene Zeichen bei der Heimkehr nach langer Fahrt. Diese tiefe symbolische Bedeutung macht seine drohende Zerstörung durch eine geplante Verlegung umso schmerzhafter.

Aktuell ist die Zukunft des Leuchtturms Gegenstand einer hitzigen Debatte, die die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD), den Eigentümer des Turmes seit 1987, auf der einen Seite und den Förderverein Leuchtturm Roter Sand e.V. auf der anderen Seite gegenüberstellt. Während die DSD eine Versetzung des Turmoberteils an Land als einzige nachhaltige Lösung betrachtet, pocht der Förderverein auf den Erhalt des Denkmals an seinem angestammten Platz in der Außenweser. Inmitten dieser komplexen Auseinandersetzung hat die Zivilgesellschaft mit einem kraftvollen Instrument geantwortet: einer öffentlichen Petition. Initiiert durch den Bremerhavener Rechtsanwalt Dr. Dieter Riemer und tatkräftig unterstützt vom Förderverein, appelliert diese Petition direkt an den Niedersächsischen Landtag, um die Zukunft dieses nationalen Kulturguts politisch zu sichern.

Die vorliegende Analyse beleuchtet die Argumente beider Seiten, taucht in die faszinierende Geschichte des Bauwerks ein und erklärt, warum die aktuelle Petition der entscheidende Moment im Kampf um die Bewahrung des Leuchtturms ist. Es ist ein Konflikt, der nicht nur technische Fragen, sondern auch die grundlegende Bedeutung von Authentizität und bürgerschaftlichem Engagement in der Denkmalpflege aufwirft.

Die Pioniergeschichte: Ein Denkmal von Welt und die erste Rettung

Die Pionierleistung von 1885: Der Turm, der die Geschichte schrieb

Die historische Bedeutung des Leuchtturms Roter Sand beruht nicht allein auf seinem markanten Äußeren, sondern in erster Linie auf seiner bahnbrechenden Entstehung. Als weltweit erstes Bauwerk, das direkt auf dem Meeresboden errichtet wurde, gilt er als Symbol des technischen Fortschritts im deutschen Kaiserreich. Ingenieure setzten 1885 erstmals die revolutionäre Senkkastentechnik – den sogenannten Caisson – in einem Offshore-Projekt um. Ein 18 Meter hoher Stahlzylinder wurde in den Meeresboden versenkt und anschließend mit Mauerwerk und Beton ausgegossen, um ein stabiles Fundament in der tückischen Wesermündung zu schaffen. Diese Pioniertat ist der eigentliche Kern des Denkmalwerts des Bauwerks, wie auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz selbst betont. Der sichtbare Teil des Turms ist demnach nur ein Hinweis auf die unsichtbare, aber wegweisende Ingenieurleistung, die sich unter dem Meeresspiegel verbirgt.

Leuchtturm der Tränen und der Hoffnung

Neben seiner technischen Bedeutung hat der Rote Sand eine tiefe kulturelle und emotionale Dimension. Er gilt als eines der wenigen nationalen Denkmäler Deutschlands, das eine gemeinsam erlebte und erlittene Geschichte repräsentiert. Für Hunderttausende Auswandererfamilien, die einst von Bremerhaven nach Amerika aufbrachen, war der Leuchtturm Roter Sand der letzte tränenreiche Gruß ihrer alten Heimat. Ebenso war er für die Seeleute, die von ihren langen Fahrten zurückkehrten, ein erleichterndes Willkommenssignal. Diese tiefe symbolische Verankerung macht den Leuchtturm zu einem maritimen Erbe von unschätzbarem Wert.

Die erste Rettung: Ein historischer Präzedenzfall zivilgesellschaftlichen Engagements

Das heutige bürgerschaftliche Engagement hat eine starke historische Grundlage. Nach seiner Außerdienststellung im Jahr 1964 war der Leuchtturm dem Verfall preisgegeben, da die zuständigen Behörden seine Rettung ablehnten. Diese Absicht, das Denkmal dem Meer zu opfern, löste eine massive Welle des Protests in der Bevölkerung aus. Aus dieser Bewegung heraus wurde der „Förderverein Rettet den Leuchtturm Roter Sand“ gegründet, der Tausende engagierte Retter vereinte und den Widerstand bündelte. Dieses Engagement führte 1987 zu einem beispiellosen Erfolg: In einer spektakulären Aktion wurde eine neue Stahlmanschette über das Fundament gestülpt, um dessen Stabilität wiederherzustellen. Anschließend wurde der Turm in den Besitz der Deutschen Stiftung Denkmalschutz übertragen, die im selben Jahr die treuhänderische Stiftung Leuchtturm Roter Sand zur dauerhaften Pflege gründete. Die heutige Petition ist damit keine singuläre Aktion, sondern die direkte Fortsetzung dieser historischen Dynamik und verleiht dem Anliegen des Fördervereins eine besondere Legitimität und moralische Autorität.

Die DSD, die 1987 als Retterin auftrat, sieht sich heute mit der Herausforderung konfrontiert, dass ihre eigenen Vorschläge in den Augen der ursprünglichen Bürgerinitiative dem Denkmalwert zuwiderlaufen. Dieser Wechsel der Rollen illustriert einen grundlegenden philosophischen Konflikt: Während die DSD als nationale Institution den Fokus auf den physischen Erhalt legt, unabhängig vom Standort, betrachtet die lokale Bewegung des Fördervereins den Erhalt des Denkmals in seinem historischen Kontext als seine eigentliche Essenz.

Die Sanierungsdebatte: Ein Kampf um Zahlen, Fakten und Herzblut

Die Argumente der Deutschen Stiftung Denkmalschutz

Die DSD begründet ihre Pläne zur Versetzung des Leuchtturms auf umfassenden Gutachten, die zu dem Schluss kommen, dass ein dauerhafter Erhalt vor Ort nicht realistisch sei. Die zentralen Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Strukturelle Mängel und Materialermüdung: Gutachten deckten auf, dass die konstruktive Verbindung zwischen dem Caisson und dem Turmoberteil nie vollständig sicher war und somit bei Wellenaufschlag kein verlässlicher Zuganker ist. Der verwendete Puddelstahl weist bauzeittypisch geringere Festigkeiten auf und die gesamte Konstruktion erreicht an einigen Punkten ihre Belastungsgrenzen. Der Turm war schlicht nicht für eine so lange Lebensdauer gebaut worden.  
  • Bedrohung durch Klimawandel und Umweltauflagen: Die DSD führt an, dass der Leuchtturm den modernen Belastungen durch steigende Meeresspiegel, stärkere Wellen und vermehrte Extremwetterlagen nicht mehr gewachsen sei. Hinzu kommt die erhebliche Belastung des Außenanstrichs mit PCB und Blei, die dringende Korrosionsschutzarbeiten nur unter strengen Arbeitsschutzmaßnahmen und in einer Einhausung zulassen würden. Eine solche Einhausung sei angesichts der Lage im Nationalpark Wattenmeer und den unbeständigen Wetterbedingungen technisch kaum machbar.
  • Kosten und Machbarkeit: Die DSD kam nach der Untersuchung verschiedener Varianten, darunter „kontrollierter Verfall“ und interne Verstrebungen, zu dem Schluss, dass keine davon eine nachhaltige, denkmalgerechte und realistische Erhaltung vor Ort ermöglicht. Eine Versetzung an Land sei daher die einzig tragfähige Lösung, um das Bauwerk für die Zukunft zu bewahren, auch wenn dies ein gewaltiges Unterfangen darstellt, das Kosten in Höhe von mehreren Millionen Euro verursachen würde.

Die Position des Fördervereins Leuchtturm Roter Sand e.V.

Der Förderverein widerspricht der DSD-Einschätzung vehement und hält den Erhalt am angestammten Platz für möglich und notwendig. Die Gegendarstellung basiert auf mehreren zentralen Punkten:

  • Kritik an den Gutachten: Der Förderverein stellt die Annahmen der DSD-Gutachten infrage. Argumentiert wird, dass der angeführte „Eisdruck“ schon seit Langem nicht mehr aufgetreten sei und auch in Zukunft angesichts des Klimawandels unwahrscheinlich sei. Der vorhergesagte Meeresspiegelanstieg in den nächsten 50 Jahren liege im Zentimeterbereich und stelle keine unmittelbare Bedrohung dar.
  • Der Vorwurf des Instandhaltungsstaus: Der Förderverein kritisiert, dass seit Jahren nichts für den Erhalt des Turms unternommen wurde – kein Anstrich, keine Stahlreparaturen. Diese Vernachlässigung sei die eigentliche Ursache für den derzeitigen Sanierungsbedarf, und die DSD versuche nun, die resultierenden Mehrkosten als Argument für eine Versetzung zu nutzen.
  • Ein alternatives Sanierungskonzept: Der Förderverein ist überzeugt, dass eine Sanierung vor Ort mit moderner Baustelleneinrichtung, wie zum Beispiel einem Hub-Montageschiff, sorgfältig und viel günstiger durchgeführt werden könnte, als der Turm auseinandergerissen und versetzt werden müsste. Während sie anerkennen, dass dies keine ewige Lösung ist, argumentieren sie, dass ein solcher Erhalt für die nächste Generation ausreichend und denkmalgerecht wäre.

Die Debatte verweist auf einen tiefgehenden Konflikt zweier Denkmalschutz-Philosophien. Die DSD favorisiert eine risikominimierende, potenziell dauerhafte Lösung, um das physische Bauwerk um jeden Preis zu retten. Der Förderverein hingegen akzeptiert die zeitliche Befristung der on-site-Sanierung, um die Authentizität des Bauwerks als erstes Offshore-Bauwerk zu bewahren, dessen Wert untrennbar mit seinem Standort verbunden ist.

Ein weiterer entscheidender Faktor in dieser Auseinandersetzung sind die Kosten. Während beide Lösungen mit mehreren Millionen Euro veranschlagt werden, argumentiert der Förderverein, dass die on-site Sanierung kosteneffizienter sei. Gleichzeitig hat die DSD mitgeteilt, dass die Versetzung aus Spenden und Zuwendungen finanziert werden soll. Dies stellt die gesamte Finanzierung in Abhängigkeit von der öffentlichen Meinung. Die politischen und administrativen Hürden für eine Versetzung sind ebenfalls erheblich, wie der Ausschluss von Bremerhaven als potenzieller neuer Standort durch das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) verdeutlicht.

Die Petition: Ein Ruf nach politischem Handeln und dem Weltkulturerbe-Status

Die Debatte über die Zukunft des Leuchtturms ist in der Öffentlichkeit angekommen und hat mit der aktuellen Petition ein politisches Momentum erhalten. Die Initiative, die vom Förderverein unterstützt wird, zielt auf zwei zentrale Forderungen ab, die eine klare Antwort auf die Versetzungspläne der DSD darstellen:

  1. Den Leuchtturm am Originalstandort erhalten: Die Petition fordert den Niedersächsischen Landtag auf, eine Genehmigung für die Versetzung des Leuchtturms zu verweigern und stattdessen den Erhalt an seinem historischen Standort zu forcieren.
  2. Aufnahme in das Weltkulturerbe: Es wird verlangt, dass der Leuchtturm „Roter Sand“ als Vorschlag für die deutsche Vorschlagsliste für das Weltkulturerbe eingetragen wird.

Die Petition ist ein strategischer Schritt, der die Entscheidungsfindung von der Ebene technischer Gutachten auf die politische Ebene hebt. Um vom Niedersächsischen Landtag behandelt zu werden, müssen 5.000 Online-Unterschriften gesammelt werden. Der Online-Charakter und die strikte Frist von sechs Wochen – vom 08.09.2025 bis zum 20.10.2025 – schaffen eine besondere Dringlichkeit und erfordern eine schnelle Mobilisierung der Unterstützer.

Die Forderung nach dem Weltkulturerbe-Status ist dabei ein besonders überzeugendes Argument. Sie hebt den Leuchtturm aus der Reihe nationaler Denkmäler heraus und positioniert ihn als ein weltweit einzigartiges Zeugnis der Ingenieurgeschichte. Mit dieser globalen Perspektive wird das Anliegen des Fördervereins untermauert, dass die Versetzung des Turms nicht nur einen lokalen, sondern auch einen universellen Verlust bedeuten würde. Die Petition macht deutlich, dass der wahre Konflikt nicht in der Frage liegt, ob der Leuchtturm gerettet werden soll – darüber besteht Einigkeit – sondern wie er bewahrt werden soll: als intaktes historisches Ensemble an seinem angestammten Platz oder als transloziertes Exponat, dem seine ursprüngliche Bedeutung genommen wird.

Ein Ausblick und der Ruf zum Handeln

Die Debatte um den Leuchtturm Roter Sand ist ein Spiegelbild des übergeordneten Konflikts zwischen der pragmatischen Rettung eines physischen Objekts und der Bewahrung seines kulturellen, historischen und emotionalen Kontexts. Eine Versetzung würde den Leuchtturm seiner Seele berauben. Sie würde das historische Zeugnis seiner Entstehungsgeschichte zerstören und aus einem authentischen Ort der See- und Ingenieurgeschichte ein museales Exponat machen. Das Bauwerk verliert seine Bedeutung, wenn es von seinem Fundament, das die eigentliche Pioniertat verkörpert, getrennt wird und nicht mehr in der rauen See, die es einst bezwungen hat, verbleibt.

Der Leuchtturm Roter Sand ist ein lebendiges Denkmal, das von Generationen gerettet und gepflegt wurde. Er ist ein Symbol für die Kraft bürgerschaftlichen Engagements. Die laufende Petition ist der entscheidende, aktuelle Moment in dieser langen Geschichte. Sie ist ein direkter Appell an die Politik, die Stimme der Menschen zu hören, die den Leuchtturm als das bewahren wollen, was er ist: ein einzigartiges Wahrzeichen am Rande des Meeres.

Die Zukunft dieses einzigartigen Zeugnisses liegt nun in den Händen der Öffentlichkeit. Es gibt nur eine begrenzte Zeit, um ein starkes Signal an den Niedersächsischen Landtag zu senden. Wer sich für den Erhalt des Leuchtturms Roter Sand in seiner ursprünglichen Form einsetzen möchte, hat jetzt die Chance, aktiv zu werden und sich an dieser historischen Bürgerinitiative zu beteiligen.

Querverweise: https://www.navo.niedersachsen.de/navo2/portal/nipetition/0/publicviewpetition?id=163

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